Lippische Familienchronik in den USA
Von Kurt Vorwerk
Am 30.Juli 1847 landete in New York der Dreimaster-Segler „Captain Morey“, der am 1. Mai von Hamburg aus seine Reise begonnen hatte. An Bord dieses Schiffes befand sich der 27 Jahre alte, aus Lübbecke in Westfalen gebürtige, Anton Daniel Stecher.
Mit 25 Jahren, nachdem er bereits zehn Jahre lang in seiner deutschen Heimat als „Kommis“ tätig gewesen war, fasste er den Entschluss, als Prediger nach den Vereinigten Staaten auszuwandern. Nach einer einjährigen Ausbildungszeit bei der Norddeutschen Mission in Hamburg ging er 1846 über Lübeck, Schwerin, Rügen in das Missionshaus in Dresden und von dort nach Neudettelsau. Als Sendbote der Dresdener Gesellschaft zur Unterstützung der Lutherischen Kirche in Nordamerika wurde er in die Vereinigten Staaten entsandt. Zwei weitere Jahre der Ausbildung im Seminar der Lutherischen Synode für Missouri, Ohio, etc. sollten vergehen, bis A. D. Stecher am 18. Februar 1849 zum Pfarrer ordiniert wurde. Im Jahre 1851 verheiratete er sich mit Anna-Margrete Bachmann in Fort Wayne.
Der Pastor Anton Daniel Stecher hat für seine Tochter Luise eine sehr genaue Familien-Geschichte aufgezeichnet und Außerdem für seinen ältesten Sohn eine kürzere im Anhang der Luther-Bibel hinterlassen. Beide Aufzeichnungen befinden sich seit Jahren im Besitz des Arztes Robert Morgan Stecher, M. D., in Cleveland, einem Enkelsohn des Verfassers.
Da in den Vereinigten Staaten heute ein großes Interesse an der Familienforschung besteht und Dr. Robert M. Stecher den Wunsch hatte, einen Stammbaum seiner Familie zu besitzen, versuchte er, die nachstehenden Aufzeichnungen seines Großvaters auszuwerten. Darin steht wörtlich u. a. zu lesen:
„Euer Urgroßvater, dessen Vorfahren sich Stecker schrieben, kamen aus Horn bei den berühmten Externsteinen und dem Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald im Fürstentum Lippe-Detmold, wo diese Familie noch unter dem obigen Namen lebt. Dieser besagte Urgroßvater siedelte sich als Gerber um 1775 in Lübbecke, Provinz Westfalen, Königreich Preußen … an. Er erwarb ein Haus, Garten, Feld und Wald und schrieb sich fernerhin Stecher. Euer Großvater Johann Friedrich Daniel Stecher, der nach dem Tode seiner Eltern das Gewerbe übernahm, baut im Jahre 1820 ein großes Haus in der Bäckerstraße 68, in dem ich geboren wurde und in dem Onkel Heinrich noch lebt.
Großonkel Fritz Stecher hatte eine Gerberei in Bünde ….. Wilhelmine ….. Scharlotte …. Anton Stecher, ein Gerber, heiratete und lebte in Oldenburg. Er wurde Baptist und wanderte 1846 nach Amerika aus …. Ich besuchte die ganze Familie in Sprinfield, Illionis …“
Nun wollte es der Zufall, dass Dr. Stecher einen Patienten deutscher Abstammung behandelte, der als Polstergeselle bei Willi Stecker in Horn bearbeitet hatte. Dr. Stecher nahm sofort Verbindung mit W. Stecker in Horn auf, aber es gelang nicht, in Horn die Geburt des nach Lübbecke um 1775 übergesiedelten Johann Anton Stecker festzustellen. Es existierte aber bereits ein Stammbaum der von Cord Stecker (verstorben 1676 in Horn) abstammenden Familie Stecker, der von dem Verfasser dieser Zeilen unter Mitwirkung der verstorbenen Lehrer Heinrich Stecker (Detmold) und Heinrich Stecker (Bellenberg) zusammengestellt worden war. Bei sorgfältiger Prüfung stellte ich fest, dass Johann Anton Stecker aus Detmold stammte und dort 1752 als Sohn des Weißgerbermeisters in der Externstraße geboren war. Damit war bewiesen, dass der Urgroßvater dieses nach Lübbecke verzogenen Joh. Anton Steckers als dritter Sohn des Stammvaters Cord Stecker aus Horn sich 1691 in Detmold als Weißgerber niedergelassen hatte.
Die Zeitspanne von mehr als 100 Jahren zwischen der Niederschrift dieser Familienchronik (etwa 1880) und dem Jahre 1775 macht den Irrtum in der von Pastor Stecher niedergeschriebenen mündlichen Überlieferung verständlich: Der Großvater des nach den Staaten ausgewanderten Pastors stammte nicht aus Horn, sondern aus Detmold. Dennoch wies diese Überlieferung doch den rechten Weg für die erfolgreichen Nachforschungen.
Die Freude und Überraschung des Dr. Stecher war natürlich groß. Im Jahre 1961 hat er die von ihm gesammelten Unterlagen in einem Privatdruck unter dem Titel „Cord Stecker and his descendents in Europe and America“ veröffentlicht. Dr. Stecher ist Spezialist für Rheuma und Arthritis und wirkt am Cuyahoga County Hospital, einer Stiftung, deren Präsident er ist. Außerdem hat er in den letzten Jahren die USA auf vielen internationalen medizinischen Kongressen vertreten; er ist Präsident des ersten amerikanischen Gesundheitsmuseums in Cleveland und Vorstandsmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen und Stiftungen. Trotz dieser Verpflichtungen und der damit verbundenen Reisen hält er seit seinem ersten Besuch in Lippe im Jahre 1956 die freundschaftlichen Beziehungen zu den hiesigen Mitgliedern der Familie Stecker aufrecht und versammelt alljährlich zum Weihnachtsfest in seinem Haus in Cleveland seine Kinder, Enkelkinder, Vettern und Kusinen zu einem echten Familienfest.
Bei dieser Gelegenheit soll nicht unerwähnt bleiben, dass die von Cord Stecker bis 1676 betriebene Weißgerberei sich bis heute in die 13 Generationen vom Vater auf den Sohn vererbt hat. Es dürfte im Lipperland vermutlich wenige handwerkliche Betriebe geben, die auf ein ähnliches Alter zurückblicken können. Außer diesen direkten Nachkommen haben weitere Söhne und Enkel den Weißgerber- oder Lohgerberberuf in Detmold, Bielefeld, Lübbecke, Bünde und Oldenburg ausgeübt. Weißgerbereien gab es bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts in fast allen Städten unseres Landes. Sie sind der Industrialisierung bis auf diese eine in Horn sämtlich zum Opfer gefallen.
Veröffentlicht in : Heimatland Lippe, 1963 Seite 148-150
Abgeschrieben von: Wolfgang Bechtel im März 2008
Home
|