Auswanderung Lippe-USANaturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V. |
DIE LIPPISCHEN WANDERZIEGLER
Abschrift Doris Binzcek
Die Geschichte der Ziegeleien entlang der Flensburger Förde ist auch die Geschichte der Lipper.
Fremd- oder Gastarbeiter, wie es sie zu allen Zeiten der Geschichte gegeben hat, waren diese Wanderziegler aus Lippe Detmold.
Um 1790 gab es im Lipperland sehr viele Spinnereien und Webereien. Über zehntausend Menschen lebten von diesen Gewerben.
Im Jahre 1800 hatte man in England neue Maschinen erfunden, die die Handarbeiten der Spinner und Weber übernehmen konnte,. Die in England produzierten Waren wurden so billig angeboten, daß die Spinner und Weber aus dem Lipperland nicht mehr mithalten konnten und sich nach anderer Arbeit umsehen mußten.
Die Lipper wurden Ziegler, erst an ihren eigenen Ziegeleien in der Heimat, und später, als der Lehm ausging, Wanderziegler, die von Frühjahr bis Herbst in die Fremde gingen, um Brot für die Familie daheim zu verdienen.
In der Regel zogen sie nach Norden; ihre Arbeit können wir heute in Holland, Frankreich, Friesland, Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark nachspüren. In vielen lippischen Ortschaften waren mehr als die Hälfte der arbeitenden Männer in den Monaten von März bis Oktober in der Fremde als Ziegeleiarbeiter beschäftigt.
Die Abreise war in der Regel Anfang März. Mit gepacktem Rucksack und geschnürtem Leinenbeutel ging es gen Norden. Notwendige Bekleidung sowie Verpflegung für die erste Zeit war eingepackt. Per Bahn oder auch zu Fuß wurde der lange Weg angetreten. Frau und Kinder nahmen Abschied für die lange Zeit bis zum kommenden Winter.
Schwere Arbeit erwartete die Ziegler aus dem Lipperland. Genau wie die Gastarbeiter früherer Zeiten und der heutigen Gastarbeiter mußten sie die schwersten Arbeiten in den Ziegeleien verrichten, obwohl man eigentlich sagen muß, daß es in den Ziegeleien überhaupt keine leichte Arbeit gab. Zwölf bis fünfzehn Stunden am Tag waren keine Seltenheit, schlechte Verpflegung und primitive Unterkunft machten die Plackerei auf den Ziegeleien nicht leichter. Je mehr Lipper die Arbeit auf den Ziegeleien verrichteten, je mehr Einheimische konnten dann leichterer Arbeit nachgehen.
Bereits in der Heimat der Lipper wurden die Kolonnen für die nächste „Campagne“ zusammengestellt, die dann unter Führung ihres Vorarbeiters an den einzelnen Ziegeleien hier ihre Arbeit aufnahmen. Zeitweilig waren die Anstellungsverhältnisse für die Lipper an unseren Ziegeleien so miserabel, daß ein Pastor aus dem Lipperland mit den hiesigen Ziegeleibesitzern verhandelte um nur einigermaßen erträgliche Verhältnisse herzustellen, ansonsten handelten die jeweiligen Campagneleiter der Lipper selber den Lohn und die Unterkunft aus.
An vielen Ziegeleien gab es eine bunte Mischung von Ziegeleiarbeitern. Neben Einheimischen trafen sich Polen-Lipper-Westpreussen und Dänen. Verständlich, daß es in Gebieten, wo die Ziegelindustrie die einzige Beschäftigungsmöglichkeit war, häufig Streit um die Arbeitsplätze gab. Genau wie heute hatten die Einheimischen Angst ihre Arbeitsplätze zu
verlieren. Verstärkt wurde dieser Streit dann auch noch durch die unterschiedlichen Nationalitäten. Besonders krass kam der Streit zu Tage an den nordschleswigschen Ziegeleien, war Nordschleswig 1864 doch nach dem Kriege gegen den Willen der Bevölkerung zu Deutschland gekommen. Hier war einerseits die einheimische dänische Bevölkerung keinesfalls mit der Beschäftigung der „Deutschen“ aus Lippe Detmold einverstanden, andererseits meinten die häufig deutschgesonnenen Ziegelbesitzer einen Beitrag zur „Verdeutschung“ der Region Nordschleswig beizutragen, indem sie möglichst viele der ohnehin sehr tüchtigen und billigen Ziegler aus dem Lipperland einstellten.
Die Arbeitskaserne war die Unterkunft für die Lipper. Heute noch finden wir diese „Pappkasernen“ wie sie damals im Volksmunde hießen. Diese primitiven Gebäude lagen immer in der unmittelbaren Nähe der Ziegeleien. Häufig dicht am Ofen, damit die Ziegler sich während der knappen Freizeit am Brennofen der Ziegelei bei Kälte aufwärmen konnten. Immer war es ein ganz einfaches Gebäude ohne irgendwelche sanitäre Einrichtungen. Das Toilettengebäude war in der Regel neben dem Wohnhaus aufgestellt, man nannte es „Dat Plumpsklo“. Im Wohnhaus gab es einen großen Aufenthaltsraum mit einfach zusammengezimmerten Tischen und Bänken. Hier wurde gemeinsam gegessen. An den Trennwänden des Hauses standen die Betten der Ziegler. Jeder hatte einen kleinen Verschlag für Hab und Gut. Die Schlafstellen hatten einen Strohsack als Schlafunterlage und unter den Decken schlief man.
Die Verpflegung der Lipper stellte der jeweilige Meister der Ziegelei bereit. Seine Frau stand am großen Kessel und kochte das gemeinsame Mittagessen. Da der Meister am Gewinn der Ziegelei beteiligt war, wurde selbstverständlich auch am Essen der Arbeiter gespart. Kartoffelsuppe – Erbsensuppe – Kohlrabisuppe und Milchwälling waren die Standardessen der Schwerstarbeiter. Häufig gab es „Meutereien“ wegen dem schlechten Essen. Die Lipper sangen das bis heute noch bekannte Lied: „Kartüffelsupp-Kartüffelsupp- de ganz Wuch Kartüffelsupp…..!“
Einige der Ziegeleiarbeiter aus Lippe Detmold wurden ansässig an der Flensburger Förde. Junge Männer fanden hier ihre Frauen und zogen nicht nach Lippe zurück. Für diese Familien bauten die Ziegeleibesitzer kleine Wohnungen in der Nähe ihrer Ziegelei. Aber auch diese waren der damaligen Zeit entsprechend kümmerlich und klein. Eine Familie mit sechs und mehr Kinder bewohnte häufig eine kleine Wohnung mit weniger als dreißig Quadratmeter.
In der wenigen Freizeit, hauptsächlich am Sonntag, wurde Wäsche gewaschen und Strümpfe gestopft. Es geschah aber auch, daß am Sonnabend Abend einmal tüchtig gefeiert wurde. Dann wurde getanzt und zur Handharmonika und Waldzitter gesungen. Der Branntwein wurde dann in großen Zügen genossen. Dies geschah allerdings auch häufig während der täglichen Arbeit. Ein- bis anderthalb Liter des Branntweines war häufig die Tagesration eines Lippers, nur damit konnte er seinen Unmut unterdrücken.
Zur Herbst- und Winterzeit, wenn die Arbeit auf der Ziegelei ruhte wegen Frost und Regen, traten die Lipper ihre Heimreise an. Sie hatten hart gearbeitet und brachten ihren kargen Lohn nach Hause. Die Freude bei der Familie daheim war groß, wenn der Vater, Bruder und häufig sogar der Großvater nach Hause kamen. Nun kamen wenige Monate der Ruhe in der Heimat. Eine wohlverdiente Zeit der Stärkung, denn die nächste Campagne stand im kommenden Frühjahr erneut bevor.
Oftmals mußten die heimkehrenden Lipper in der Heimat berichten, weshalb der Eine oder Andere nicht zurückkehrte. Einige waren der schweren Arbeit in der Ziegelei erlegen, oder es war ein Unfall geschehen, zum Beispiel in einem Lehmberg, wo vier Arbeiter unter den Lehmmassen lebendig begraben wurden. Es gab damals kein soziales Netz, die Krankenversorgung war schlecht und die karge Ernährung forderte auch jedes Jahr ihre Opfer. Dieses, den in der Heimat zurückgebliebenen Frauen und Müttern zu schildern, war eine schwere Pflicht der Zurückkehrenden.
Aber auch die Mutter in Lippe Detmold war traurig, welche erfuhr, daß ihr Sohn im fremden Norden eine Frau gefunden hatte. Sie bekam selten die Gelegenheit ihre Schwiegertochter oder gar die heranwachsenden Enkelkinder zu besuchen. Ein Trost blieb ihr; Sie wußte ihr Sohn lebte und hatte sein Auskommen im Norden.
In den heutigen Telefonbüchern aus unserer Gegend um die Flensburger Förde finden wir noch Namen der Nachkommen aus dem Lipperland. Einige sollen hier, stellvertretend für die vielen Lipper welche bei uns gearbeitet haben, genannt
werden:
August Linnemann – Christian Budde – Heinrich Meine (Vadder Meine) – Willi Steinmeier – Pöhlmann – Specht – Hundertmark.
Diesen Namensreigen könnte man unendlich fortsetzen. Diese und viele andere Lipper haben dazu beigetragen, daß die Ziegelindustrie in unserem Gebiet um die Flensburger Förde, eine blühende Industrie wurde, in welcher viele Menschen ihre Arbeit und ihr Brot fanden. Ohne diese harten und fleißigen Menschen hätte die Ziegelindustrie hier sicher niemals die
Bedeutung erlangt die sie bis in das Zwanzigste Jahrhundert hinein erlangt hat.
Viele Produkte unserer Ziegeleien entlang der Förde sind in die weite Welt exsportiert worden. Die meisten tragen die Fingerabdrücke der Ziegeleiarbeiter aus Lippe Detmold.DIE ERSTEN FREMDGÄNGER
Einst waren viel Weber im lippischen Land
So hat meine Mutter gesagt.
Doch als man die Webemaschinen erfand,
Da haben die Weber geklagt:
Das Weben das bringt uns nichts mehr ein,
Wir weben zu langsam und grob,
Die Maschinen weben so schnell und so fein,
Und wir verhungern darob.
Darum wollen wir ferner nicht Flachs mehr sä`n
Beim Weben leiden wir Not
Wir gehen nach Holland, nach Friesland und mä`n
Und suchen uns dort unser Brot.
Sie gingen nach Holland und Friesland hinaus
Alle Jahre um die Wiesenmähzeit
und kehrten im Herbst zufrieden nach Haus
Und waren recht fröhliche Leut.
Und als man die Mähmaschinen erfand
da wars mit dem Mähen vorbei.
Was taten die Männer im lippischen Land
Sie gingen auf Ziegelei.
Sie zogen als Ziegler hinaus in die Welt
Und scheuten nicht Mühe und Plag.
Erwarben sich Gunst, verdienten schön Geld.
So geht’s bis zum heutigen Tag.Aus dem Buch: Entlang der Flensburger Förde, Autor Harald Duggen, aus dem Jahr 1989, S. 66 - 70
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