Als vor einigen Jahren die Kunde nach Lippe kam, dass Rudolph Blankenburg aus „Lippe-Detmold“ mit mehr als hunderttausend Stimmen zum Bürgermeister von Philadelphia gewählt worden sei, da hat der Kalendermann alsbald festzustellen versucht, welcher Ort des Landes wohl die Geburtsstätte des berühmten Mannes und wer sein Vater war. Die Blankenburgs erfreuen sich ja im Lande eines sehr geachteten Namen. Sind sie auch nicht vom Stamme der Urlipper, so ist ihre Familie doch durch mehrere Generationen im Lande heimisch geworden.
Was nun den Blankenburg anlangt, dem der Kalender heute sein besonderes Interesse widmet, so ist zunächst interessant die Tatsache, dass auch er in der kleinsten unter den Städten des Landes – in Barntrup – geboren worden ist. Das freundliche liebe Barntrup erhöht durch ihn die Zahl der in seinen Mauern erwachsenen und im öffentlichen Leben tätigen Männer. Gehörten doch dem vorigen Landtage gleich drei Barntruper auf einmal an, nämlich Pastor Zeiß, Telegraphensekretär Schelp und Schneidermeister Brakemeier. Rudolph Blankenburg in Philadelphia dürfte es aber von allen am weitesten gebracht haben. Denn Lord Mayor zu werden in einer amerikanischen Riesenstadt, gewählt zu werden von weit über 100 000 Bürgern, gesetzt zu werden über hierzulande als souverän geltende Gewalten, das ist schon was. Und zugleich setzt das alles voraus kraftvolles Können und Schaffen, mit einem Wort gesagt eine machtvolle, bedeutende Persönlichkeit.
Der Vater des heutigen Philadelphiaer Bürgermeisters war Pastor in Barntrup, als ihm am 16.Februar 1843 sein Sohn Rudolph geboren wurde. Der Knabe war drei Jahre alt, als Pastor Blankenburg durch den Fürsten Paul Alexander Leopold nach Hillentrup berufen wurde. Dort hat Pastor Blankenburg bis Ende der 70er Jahre als Seelsorger gewirkt; noch heute den alten Gemeindemitgliedern unvergessen. Sein Sohn Rudolph verlebte dort die frohe schöne Kinderzeit. Um der Heimat dankbar zu sein, um das Andenken des edlen Vaters zu ehren, stiftete er der Gemeinde um die Jahrhundertwende, als ein neues Gotteshaus gebaut wurde, die prächtige schön geschnitzte Kanzel. Bis zu seinem vierzehnten Jahre blieb Rudolph Blankenburg im Elternhaus, wo er von einem Hauslehrer unterrichtet wurde. Dann kam er auf das Realgymnasium nach Lippstadt, vom Vater dazu bestimmt, gleich ihm Geistlicher zu werden. Die Neigungen des Sohnes gingen aber nach der kaufmännischen Richtung. Er bestimmte seinen Vater, ihn Kaufmann werden zu lassen, trat bei einem Bank- und Speditionshaus in die Lehre und folgte schon im Jahre 1865 der Einladung seines ehemaligen Hillentruper Hauslehrers nach Amerika, wohin damals ja so viele Lipper auswanderten. Nicht weil sie Abenteurerlust hinaustrieb, sondern weil die deutsche Heimat mit ihren gebundenen wirtschaftlichen Verhältnissen, mit ihrer politischen Spaltung und Zerrissenheit gerade den vorwärtsstrebenden Kräften und Talenten geringe oder gar keine Betätigungsmöglichkeiten bot. Auf der Farm seines väterlichen Freundes aus dem Elternhaus blieb Rudolph Blankenburg einige Wochen als Gast. Dann nahm er in einem der größten Philadelphiaer Fabrikhäuser eine Stellung an und verblieb in dieser ein ganzes Jahrzehnt. Er wurde selbstständig und gründete die später so berühmt gewordene Firma Blankenburg & Co. Von vornherein waren dem tüchtigen Kaufmann Erfolge beschieden und als er sich nach 25 Jahren zurückzog, um den Rest seiner Tage in Ruhe zu verleben, da war er , wie man zu sagen pflegt, ein gemachter Mann. Aber nicht um der Ruhe zu leben im gewöhnlichen Sinne, um nichts zu tun, um die Tage mit Essen und Trinken, Schlaf und Vergnügen auszufüllen, hatte sich Rudolph Blankenburg vom Fabrikleben zurück gezogen, sondern dazu, vorwiegend seinen öffentlich-politischen Neigungen zu leben, für deren Betätigung ihm als Kaufmann vordem die Zeit gefehlt hatte. Gewiß hatte er sich in treuer gewissenhafter Bürgerart schon als Industrieller ums öffentliche Leben gekümmert. Volle Hingebung schenkte er ihm aber erst nach dem Ausscheiden aus der Fabrik. Die Bürger Philadelphias, insonderheit auch die zahlreichen Deutschen jener Stadt, schenkten dem Sohne der deutschen Erde volles Vertrauen. Ihnen schien er unter den traurigen korrupten Verhältnissen Philadelphias als der rechte Mann, den Augiasstall der Philadelphiaer Verwaltung mit eisernem Besen rein zu kehren. Und so wurde er nach einem beispiellos heftigen Wahlkampf 1911 zum ersten Bürgermeister gewählt.
Nach kaum zweijähriger Wirksamkeit hatte er viel erreicht. Die Verwaltung war von Grund auf reorganisiert, die Finanzwirtschaft der Riesenstadt auf gesunde Grundlagen gerückt. Neben der ungeheuren vielseitigen Arbeit als Bürgermeister fand Rudolph Blankenburg Zeit und Muße zu ausgedehnter publizistischer Tätigkeit in Zeitungen und Zeitschriften, zu tätiger Mithilfe in der großartig organisierten öffentlichen Wohltätigkeit.
1867 heiratete Rudolph Blankenburg Lucretia M. Longshore aus einer frommen Quäkerfamilie, mit der er in glücklicher Ehe verbunden war. Auf den Werdegang ihres Mannes hat die fromme Frau nachhaltigsten Einfluß ausgeübt. Leider wurden dem Ehepaar die ihm geschenkten drei Kinder wieder durch den Tod entrissen, so dass ihr Leben jetzt das der persönlichen Vereinsamung geworden ist. Was ihnen aber auch durch Gottes wunderbare Schicksalsfügung im Familienleben genommen worden ist, einen Ersatz haben sie gefunden in der Liebe und Verehrung der deutschen Landsleute nicht nur, sondern auch in der innigen Zuneigung der Bürgerschaft Philadelphias.
Rudolph Blankenburg ist von Herz und Sinnen ein freier hingebender Bürger der großen Union geworden. Dem neuen Vaterlande hat er treu gedient. Und doch hat er sich für das Land seiner Jugend, für die Höhen und Täler des Rosenlandes, so seine Wiege stand und sein Vater wirkte, Liebe und Dankbarkeit, wahre, innere Anhänglichkeit bewahrt. Wir bedauern ja, dass gerade die Tüchtigsten unter den Bürgern unseres Landes von und gegangen sind, dass die deutsche, lippische Tüchtigkeit in den Dienst anderer Interessen gestellt haben. Und doch finden wir einen Ersatz darin, dass sie als Lipper dem deutschen Namen in der Fremde Achtung und Bewunderung verschafft haben. In diesem Sinne gedenkt der Kalendermann auch des Namens Rudoph Blankenburg.
http://www.lippe-auswanderer.de/AuswandererLippe-USA/html/p011251.htm#P11251
Abschrift aus: Fürstlich Lippischer Kalender auf das Jahr 1915, Seite 64 – 65
Abschrift von : Wolfgang Bechtel
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