Menschen vom lippischen Boden
Der Revolutionär aus Enger
Julius Vortriede (1820 bis 1899) gehörte zu den "Achtundvierzigern", die in der USA Geschichte schrieben
von Friedel Schütte
Er sprach, schrieb und dichtete in sieben Sprachen, war als geflohener deutscher "Achtundvierziger" im Osten der U.S.A. Lehrer, Redakteur, Zeitungsverleger und demokratischer Politiker. Als solcher wurde er zum Modernisierer der Verfassung der US-Bundesstaaten New York und Massachusetts: Heinrich Carl Julius Vortriede, geboren am 25. Dezember 1820 in Enger (Westfalen), aufgewachsen in Heiden bei Detmold, Studium in Berlin, Lehrer in Gütersloh, gestorben am 25.Januar 1899 in Toledo (Ohio).
Sein Vater Franz Heinrich Wilhelm hatte in Enger ein Geschäft. Nach seinem Tod (1827) zog die Familie mit den Zwillingen Heinrich Carl Julius und Franz Gottlieb Eduard heim ins Lipperland. Von Heiden aus besuchten beide Kinder die Schule - Julius bis zum Abitur. Er ging nach Berlin und studierte Jura, dann Philologie mit Schwerpunkt Sprachen, wie er später in Amerika zu Protokoll gab.
Schon als Student schrieb er für Zeitungen, verfasste Gedichte und schloss sich demokratischen Zirkeln an. Ein Freund berichtete später, ihm sei "wegen politischer Unzuverlässigkeit" die Aufnahme in den Staatsdienst verweigert worden.
Doch Julius hatte Glück: Die Apotheker-, Ärzte- und Juristenfamilie Groneweg in Gütersloh nahm den "Candidaten" für vier Jahre als Privatlehrer auf.
Hier im pietistischen Gütersloh gehörte er neben Rechtsanwalt Rudolf Groneweg und Justizrat Dr. Otto Lüning aus Rheda, dem Gründer der ab 1844 erscheinenden früh- demokratischen Zeitung "Das Dampfboot", einem "Schachclub" an, hinter dem sich ein geheimer und nie aufgedeckter Diskussionskreis ostwestfälisch-lippischer Demokraten verbarg.
Als sein Mentor Groneweg 1848 wegen seiner Teilnahme am Münsterschen Demokratentreffen verhaftet wurde und Ende 1849 in Münster drei Monate Haft absitzen musste, wurde Vortriede der Gütersloher Boden zu heiß: Gleich nach Gronewegs Entlassung beschloss der Freundeskreis, gemeinsam nach Amerika zu gehen.
Rudolf gab das Ziel vor: Ohio, wo ein bereits früher ausgewanderter Vetter die günstigsten Ansiedlungsbedingungen ausgekundschaftet hatte.
Vortriede wählte als seinen ersten Wohnort Dayton in Ohio. Doch schon bald darauf zog es ihn nach Louisville (Kentucky), wo ihm eine Stelle als Deutschlehrer einer staatlichen Schule angeboten worden war.
In Kentucky gefiel dem glühenden Anhänger Abraham Lincolns jedoch nicht das politische, "südstaatliche" Klima, so dass er sich bereits 1852 nach Ohio zurück begab: Nun als Lehrer für Fremdsprachen an der High School Toledo.
Nebenbei verfasste er politische Beiträge sowohl im Lokal als auch für den politischen Teil des "Toledo Express". Nicht lange, und der Verleger stellte ihn als Redakteur und Leitartikler seines Blattes ein - ein Metier, dem Vortriede bis zum Ende seines Lebens treu bleiben sollte.
Julius Vortriede erwarb mit seinen mutigen und geschliffenen Artikeln bei den Lesern hohes Ansehen, so dass er bald einen Ruf in die Redaktion des "Telegraph" in Buffalo erhielt. Krönung seiner journalistischen Laufbahn war die Berufung zum Chefredakteur des Blattes "Buffalo Telegram".
Dennoch zog es den nunmehr im ganzen amerikanischen Nordosten bekannten Kolumnisten 1872 an seinen früheren Wohnort Toledo am Ufer des Lake Erie zurück, wo ihm bei seinem früheren Arbeitgeber "Express" der lukrative Posten eines Geschäftsführers und Verlegers angeboten worden war. Julius Vortriede nahm an, denn dies gab ihm die Gelegenheit, für sich und seine Familie an der herrschaftlichen Parkwood Avenue 2244 einen "Wohnsitz fürs Leben" zu schaffen, wie er einem Freund in Chicago schrieb.
Hier residierte und schrieb der Lipper aus Enger bis zu seinem Tode, und von hier aus mischte er sich weiter kritisch und aufbauend in Kultur und Politik seiner neuen Heimatstadt sowie der weiten Welt ein.
1872 wurde Vortriede vom Governor des Staates New York berufen, als Vorsitzender eines fünfköpfigen Rates von Rechtsexperten die erste Verfassung des Staates New York zu modernisieren und als Redakteur neu zu formulieren (Revision der Verfassung von Buffalo). Ein ähnlicher Auftrag kam bald danach vom nahen Bundesstaat Massachusetts.
In die amerikanische Bundespolitik war Julius Vortriede bereits 1860 als Republikaner auf der großen Bundeskonferenz aller Deutschamerikaner in Chicago eingetreten. Hier hatten vor allem die aus Deutschland geflüchteten Parlamentarier und Führer der missglückten 1848-er Revolution das Sagen.
Dazu wurde in Chicago auch Julius Vortriede gezählt, der sich an der Seite von Lt. Governor Franz Arnold Hoffmann (Illinois) wortgewaltig für die Partei Abraham Lincolns, freie Meinungsäußerung, die Menschenrechte und gegen jegliche Sklavenhaltung einsetzte.
Selbst als der gebürtige Westfale (der in seinem Wirkungsbereich an den oberen Seen stets engen Kontakt zu deutschen Einwanderern und vor allem geflohenen deutschen 48-er Demokraten hielt) nach 1880 gesundheitlich kürzer treten musste, stand er immer noch für Sonderaufgaben in der Stadt und bei seiner Zeitung zur Verfügung.
So übernahm Julius Vortriede in Toledo das Ehrenamt eines staatlichen Schulinspektors und wirkte in deutschen Kultureinrichtungen der Region als viel gefragter Ratgeber mit. Politischen Flüchtlingen aus der deutschen Heimat stand sein Haus am Erie-See allzeit offen.
Über Vortriedes Familie in Übersee sind nur wenige Einzelheiten bekannt. Um 1853/54 heiratete er eine Helene Raaber. Deren Herkunft wird im US-Census 1870 mit "Mecklenburg-Schwerin" angegeben. An Kindern des Paares nennt der Volkszählungsbogen vom 1.August 1870 den Sohn Charles (16 Jahre), die Tochter Johanna (14 Jahre), Sohn Henry (9 Jahre) und Tochter Louise (4 Jahre).
Außerdem lebte bereits Helenes Schwester, die 54 jährige Sophie Raaber, im Haushalt. Als seine Frau in den 70-er Jahren starb, übertrug Julius Vortriede seiner Schwägerin die Führung des Haushalts. Hinzu kam im März 1882 mit dem Dampfer "Maine" von Heiden (Lippe) über Bremen und New York Julius Vortriedes verwaister Neffe Friedrich Wilhelm Eduard.
Julius Vortriede starb am 25. Januar 1899 um 4 Uhr morgens. Bereits am Mittag würdigte der "Toledo Express" ihn als einen großen Politiker, Journalisten und Kulturmäzen der Stadt und des ganzen Landes. Vortriede sei ein "German Pioneer of the highest order" (der höchsten Klasse) gewesen.
Abschrift aus : Neue Westfälische Zeitung, Herford, Donnerstag den 16.September 2004,
Beiblatt: Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford
Abschrift von: Wolfgang Bechtel
http://www.lippe-auswanderer.de/AuswandererLippe-USA/html/p012148.htm
Genealogische Daten ermittelt von Wolfgang Bechtel
Heinrich Carl Julius Vordtriede, ev.
* 26.12.1820 Enger
† 25.01.1899 Toledo Ohio/USA
oo K 1853 (u) mit Helene Raaber * 1830 (u) Schwerin/Mecklenburg.
Paten: der Stiefvater der Mutter Herr Heinrich Körner aus Lage im Lippischen
KB Enger-Stadt, Taufreg. 1820 Lfd.Nr.47, * 26.Dec. zwey Uhr früh, ~ 17.Jan 1821
Name : Franz Gottlieb Eduard, ZWILLING
Vater : Herr Franz Heinr. Vortriede, Kaufmann, Enger auf Nr.32
Mutter: Frau Caroline Adolphine Müller, cop. 1819 October
Paten : Der Grosvater Bürger und Tischlermeister Franz Heinrich Vortriede aus Enger
KB Enger-Stadt, Taufreg. 1820 Lfd.Nr.48, * 26.Dec. drey Uhr früh, ~ 17.Jan 1821
Name : Heinrich Carl Julius, ZWILLING
Vater : derselbe
Mutter: dieselbe
Paten : der Stiefvater der Mutter Herr Heinrich Körner aus Lage im Lippischen
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