Quellen von unschätzbarem Wert: Dr. Bettina Joergens, Leiterin des Detmolder Personenstandsarchivs für Westfalen-Lippe, zeigt die alten Kirchenbuchduplikate, die für Ahnenforscher eine wichtige Hilfe darstellen.
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Von Stefan Backe
Eine Reise ohne Rückfahrschein
LZ-SERIE "Auf der Spur der Auswanderer": Viele Nordlipper zog es im 19. Jahrhundert nach Amerika
Nordlippe/Detmold. Wen es heute in die weite Welt verschlägt, der versucht oft wenigstens an Weihnachten zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Das Fest der Liebe als familienverbindendes Element - dem Flugzeug sei Dank. Anders sah das vor knapp 150 Jahren aus. Als sich Mitte des 19. Jahrhunderts auch unzählige Nordlipper als Auswanderer auf den Weg nach Amerika machten, war es für viele Menschen eine abenteuerliche Reise ohne Wiederkehr.
Ob Tod der daheimgebliebenen Eltern und Geschwister oder andere Schicksalsschläge in der alten Heimat: Die meisten Auswanderer erhielten solche Nachrichten - wenn überhaupt - erst Wochen später per Brief. Eine kurzzeitige Rückreise? Fast undenkbar in einer Zeit, in der oftmals wirtschaftliche Not der Auslöser für die Schifffahrt ins Ungewisse gewesen ist. Eine Reise ohne Rückfahrschein. Und eine Reise, von der in den meisten Fällen nicht mehr als rudimentäre Daten in einer Statistik übrig geblieben sind.
In einer fünfteiligen Serie sollen in den kommenden Tagen Hobby-Genealogen und Wissenschaftler zu Wort kommen, die sich auf verschiedene Art und Weise auf die Spur der Auswanderer aus Kalletal, Extertal und Dörentrup gemacht haben. Dabei haben die bisherigen Forschungen gezeigt, dass gerade auch aus dem Bereich dieser Kommunen besonders viele Menschen den Schritt in die neue Welt gewagt haben.
"Nordlippe ist eine der am stärksten betroffenen Gegenden in Lippe, da die Auswanderer vermehrt aus dem ländlichen Raum kamen. Hier war die Abhängigkeit der so genannten Einlieger von der Landwirtschaft besonders hoch. Die Missernten in den 1840er Jahren haben die Menschen dann hart getroffen", sagt Dr. Bettina Joergens, Leiterin des Personenstandsarchivs für Westfalen-Lippe. Die Detmolder Einrichtung ist dank alter Kirchenbuchduplikate und vieler weiterer Akten Anlaufstelle für alle Ahnenforscher der Region.
Probleme
verdeutlicht
Etwa 20 000 Lipper wanderten im 19. Jahrhundert aus. Rund 90 Prozent wählten als Ziel Amerika. Die Schätzungen werden unter anderem durch die Tatsache erschwert, dass sich längst nicht alle Auswanderer auch offiziell die Genehmigung der Obrigkeit holten, die dann wiederum Eingang in die Akten finden sollte. Der Bauer Friedrich Reineking aus Langenholzhausen stellte seinen Antrag am 2. Februar 1847. Doch im Gegensatz zu unzähligen anderen Auswanderern ist sein Name heute mehr als eine Nummer in der Statistik.
Reineking machte sich als so genannter Auswandererführer einen Namen und schaffte es damit zumindest in die Reihe der bekannteren lippischen Amerikafahrer, deren Schicksal relativ gut dokumentiert ist. Der damals 58-Jährige war der geistige Kopf einer der drei großen Gruppen, die 1846/1847 aus religiösen Gründen geschlossen auswanderten.
In Reinekings Schlepptau verließen 111 Langenholzhauser auf einen Schlag ihre Heimat und gründeten nach beschwerlicher, elfwöchiger Reise am Lake Michigan ihr neues Lippe - Mittelpunkt war der Ort "Hermann". Eine Erzählung, die ein Nachfahre dieser Auswanderer 1895 aufgeschrieben hat, verdeutlicht die Probleme, mit denen die Menschen damals zu kämpfen hatten.
"Die Anfragen
nehmen zu"
Dr. Bettina Joergens
Demnach starben auf dem mit 400 Personen völlig überfüllten Segelschiff schon während der Überfahrt 13 Passagiere. Ihren ersten Winter in Amerika verbrachten die Nordlipper anschließend in provisorischen Höhlen, da die begonnenen Fachwerkhäuser nicht rechtzeitig vor dem Schnee fertig gestellt werden konnten.
Über diese Erzählung hinaus ist auch die Quellenlage im Personenstandsarchiv Detmold im Fall der bekannten Langenholzhauser Gruppe verhältnismäßig gut. So zeugen unter anderem einige Briefe vom Leben der Menschen.
"Auch bei den Auswanderern erfährt man sonst häufig nur etwas von den männlichen Familienoberhäuptern oder den erstgeborenen Söhnen. Das verzehrt jedoch das Bild, denn meist sind ganze Familien gegangen", bedauert Dr. Joergens. Dabei verbergen sich in ihrem Archiv noch viele Geschichten, die erforscht werden wollen.
Neben potenziellen wissenschaftlichen Themen bleiben auch für die stets wachsende Gruppe der Ahnenforscher genug interessante Quellen übrig. "Die Anfragen aus den USA nehmen ebenfalls zu. Einige Nachfahren der Auswanderer kommen auch direkt hierher", erklärt Dr. Joergens. 15 bis 40 Prozent der Amerikaner haben nach vorsichtigen Schätzungen deutsche Wurzeln. Und nicht wenige davon reichen bis nach Nordlippe. . .
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