Lippische Rose

 Auswanderung Lippe-USA 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

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Lippische Landeszeitung von Freitag den 28. Dezember 2007

Erder; Sammlung Heil
Lang ist es her: Diese alte Fotografie zeigt den Weserhafen Erder,
im Vordergrund die 1896 angelegte Tiefseilfähre. Fotos: Privat/Backe


Erder als Tor zur Neuen Welt
Von Stefan Backe

LZ-SERIE "Auf der Spur der Auswanderer": Für viele Lipper begann die lange Reise auf der Weser

Kalletal-Erder. Eine Fahrkarte für die Verbindung Erder - New York. Was für heutige Ohren unglaublich klingt, war im 19. Jahrhundert gang und gäbe. Dafür sorgte auch die "Auswanderer-Agentur E. H. Diestelhorst", die 1858 von der Bremer Gesellschaft "Norddeutsche Lloyd" im lippischen Weserhafen eröffnet worden war. So war der Anlegesteg in Erder für viele Lipper das letzte, was sie von ihrer Heimat zu Gesicht bekamen.

Georg Heil
Georg Heil

"Die meisten Leute wanderten damals organisiert aus und folgten dabei Verwandten oder Bekannten, die schon vorher nach Amerika gegangen waren. Nur wenige haben sich auf eigene Faust auf die Reise gemacht", betont der Historiker Georg Heil. Und an diesem Punkt kamen dann unter anderem Auswanderer-Agenturen ins Spiel, die es nicht nur in Erder, sondern auch in anderen lippischen Dörfern und im übrigen Deutschland gab. Sie boten organisierte Reisen bis zum gewünschten Ziel in der Neuen Welt an. Eine Möglichkeit, relativ einfach zu den Auswanderer-Häfen an der deutschen Nordseeküste zu gelangen, war für die Lipper Mitte des 19. Jahrhunderts die Weser. "Der Fluss wurde zur Personenbeförderung aber erst mit Einführung der regelmäßigen Dampfschifffahrt 1844 interessant", erklärt Georg Heil. Er muss es wissen. Schließlich hat der Leiter des Lemgoer AWO-Jugendzentrums "Haus am Wall" den einzigen lippischen Weserhafen bereits in den 80er Jahren nach seinem Geschichtsstudium intensiv erforscht.
Demnach existierte bis zur Einstellung der Personen-Dampfschifffahrt auf der Oberweser 1873 in Erder eine Haltestelle der Linienverbindung von Hannoversch-Münden nach Bremen. Maximal zwei Tage benötigten die damals hochmodernen Boote für die 190 Flusskilometer von Lippe bis zum Meer. Wobei sich auf dem Weg zur Küste bereits seit 1855 die Konkurrenz durch die Eisenbahn stark bemerkbar machte. Die Betreiber der Raddampfer warben daher unter anderem mit speziellen Gruppenangeboten um die Auswanderer, Ziegelbrenner und so genannten Hollandgänger.
Geregelter Linienverkehr
"Auswanderer, welche auf der Strecke von Erder bis Stolzenau in Gesellschaften von 10 und mehr Personen zugehen und bis Bremen fahren, zahlen für die Person 22 Gute Groschen", hieß es 1843 im ersten Personentarif, der auf großen Plakaten in den Dörfern angeschlagen wurde. Eine noch bessere Art der Werbung entdeckte die "Vereinte Weser-Dampfschifffahrt", die in den ersten Jahren gleich fünf Raddampfer auf der Weser einsetzte, kurze Zeit später. Die Verantwortlichen schickten ein Rundschreiben an die Geistlichen, um in den Kirchen auf das neue Angebot aufmerksam machen zu lassen.
"Damals war die Kanzel noch das effektivste Mittel, um einer breiten Öffentlichkeit Informationen zu vermitteln. Die Verlesung erfolgte dann im März 1846, wobei gezielt die Auswanderungswilligen angesprochen und auf die preiswerte Verbindung nach Bremerhaven hingewiesen wurden", hat Georg Heil recherchiert. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Immer mehr Auswanderer gingen in Erder, aber auch im benachbarten Vlotho oder Rinteln an Bord der Dampfer.
Während die Menschen in den Überseehäfen wie Bremerhaven und Bremen meist noch in speziellen Auswanderer-Unterkünften auf ihre Weiterfahrt per Segelschiff nach Amerika warten konnten, sind Heil für Erder keine ähnlichen Bauwerke bekannt. "Hier gab es damals nur eine Unterkunft für die vielen Flößer", berichtet der 55-Jährige. Dank des geregelten Linienverkehrs auf der Weser machten sich die Lipper anscheinend erst kurz vor ihrem jeweiligen Abfahrttermin auf den Weg. Gute Dienste erwies den Reisenden in diesem Zusammenhang eine gut ausgebaute "Chaussee", die Erder seit 1819 mit dem lippischen Inland verband.
Dass sich an der zunächst rund 60 Meter langen, hölzernen Anlegestelle, die sich wie ein Kai parallel zum Ufer erstreckte, viele dramatische Abschiedsszenen abgespielt haben, kann sich Georg Heil übrigens nicht vorstellen: "Die Menschen werden an dieser Stelle wohl schon innerlich abgeschlossen haben. Schließlich war das keine Spaßgesellschaft. Oft trieb die Menschen bittere Not zur Auswanderung."

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