Brief 5
Herrn Geheimer Justiz. Landrath Petri zu Detmold
[Kaufmann Wolf aus Horn]
Auszug aus dem Briefe eines im Jahre 1835 nach America ausgewanderten Lippers.
Rockport, Indiana of Ohio, 18. Juni 1847
Lieber Freund!
... auch wir haben unser Päckchen zu tragen, ja besser man sich dazu gewöhnt, desto leichter trägt es sich. Ich leide schon seit einigen Jahren an Rheumatismus, es macht mir das Arbeiten schwer, raubt mir oft den Schlaf, und oft denke ich, mein Päckchen vom Schicksal sei wohl ein wenig zu schwer. Dann sehe ich um mich herum, und finde eine große Menge, die noch viel schwerer tragen müssen und danke dann der göttlichen Vorsehung, daß es ist, wie es ist, da es noch tausendmal schlimmer sein könnte, und trabe dann munter vorwärts. Ach meine Frau hat ihren Theil von Krankheiten gehabt, ist aber sonst kräftiger und gesünder wie ich, emsig wie eine Biene von Morgen früh bis in die Nacht. Ich selbst erstaune oft, wie sie so unendlich schaffen kann und sich in alles so hat finden können; aber hier habe ich die Alles belebende, Alles erhaltende, Alles ertragende Kraft recht kennen lernen, es ist die Alles aufopfernde Liebe, die, wenn sie eine Frau ganz durchdrungen hat, Wunder wirkt, in Widerwärtigkeiten die Frau bei weitem kräftiger macht, wie der Mann und sie unendlich weit über ihn erhebt. Es war mir hart, Vaterland und Freunde zu verlassen, wie viel härter mußte es ihr sein, wir sprechen noch immer davon, wir hängen noch mit ganzer Seele in Allem, was uns theuer im Vaterlande war, aber eine Klage ist nie über ihre Lippen gekommen. Die Ursache unseres Scheidens von Vaterland und Freunden war das künftige Wohl unserer Kinder, der Zweck also ein guter, welcher wohl überdacht und deshalb ist nie eine Reue in uns aufgestiegen, da überdem der Allgütige unsere Absicht so überaus reichlich gesegnet hat. Indessen wir unseren Zweck verrichten, hatten wir alle unsere geistigen und körperlichen Kräfte nöthig, um nicht im Elend unterzugehen, und hätte ich da nicht einen schätzenden und mich immer neu stärkenden Engel in der Gestalt meiner Frau zur Seite gehabt, ich glaube wahrlich, dein alter ehrlicher Freund wäre nicht mehr.
Wer nicht sehr triftige Gründe hat zum Auswandern, und keinen kräftigen Körper und Geist, der bleibe im Lande und nähre sich redlich. Wie elend und erbärmlich es den Meisten hier geht, wird keiner bei Euch recht erfahren; falsche Scham und auch mitunter der Wunsch, noch mehrere in Elend zu bringen, hält die meisten ab, einen treuen Brief über den Anfang ihres hiesigen Lebens zu geben. Sie müssen erst hartes Lehrgeld bezahlen, verlieren gewöhnlich erst alles, und kommen erst dann auf, wenn in einem starken Körper eine starke Seele, Vertrauen zu Gott und eisenharter Wille wohnt, der sich in die hiesige Lebensweise zu finden weiß. Für die Taugenichtse im Vaterlande ist dies Land die beste Corrections-Anstalt, die es geben kann, sie werden entweder besser, oder gehen zu Grunde. Texas ist gerade der beste Platz, einen Sturkopf weich wie Butter zu machen. Du hast von Cooper gelesen. Wenn dies möglich, so verschaffe Dir von Sealsfield (ließ Sielsfield) Das Leben in der Neuen Welt oder Grundzüge der Amerikanischen Gesellschaft, und dann: Süden und Norden, oder Leben in Texas. Dies sind treue Schilderungen nach dem Leben und werden Dir den besten Begriff von hier geben. Der Verfasser wird als ein Deutscher angegeben, sehr bewundert wegen seines ungemeinen Scharfblicks und Beobachtungsgeistes. (Diese eben genannten und noch einige andere sind in Neuyork [New York] in Englische übersetzt und herausgegeben von Editors der viel gelesenen Zeitung: Die Neue Welt oder New World.)
Von Freund S. bekam ich vor einigen Wochen einen Brief, um meine Meinung in Hinsicht des Auswanderns etc. zu erfahren. Ich habe gleich geantwortet und ihm gesagt: Daß das Auswandern immer ein Uebel wäre, wenn es aber das kleinste Uebel wäre, und man alsdann von zweien wählen müsse, so natürlich nähme man das kleinste von den Uebeln. Ich bin zu gewissenhaft, Jemand zum Auswandern zu reitzen, und obgleich es für uns das höchst Wünschenwerthe ist, eine nur eine uns gleichfühlende Familie in unserer Nähe zu haben, so wird Selbstsucht mich nie vermögen, eine solche Familie dazu zu verleiten. Ich für meine Person liebe mein neues Vaterland, selbst wenn ich es unter den allergünstigsten Umständen wieder mit meinem früheren vertauschen könnte, ich würde es nicht thun. Die höchsten Güter eines fühlenden Menschen sind: Freiheit und Unabhängigkeit, und ein Sorgenfreies Leben. Diese Güter sind hier, und nur hier, in vollem Maaße, wie es hier auf Erden möglich ist, zu erreichen; aber wahrlich nicht im leichten Kampfe und gerade dies glauben und denken die wenigsten; sie wollen diese köstlichen Güter, des härtesten Kampfes werth, durch bloßes Übersiedeln erlangen, auch kennen nicht alle den Werth dieses Glücks und suchen es auch da, wo es nicht zu finden ist. Sie denken sich Amerika eine Art Schlaraffenland, wo man nur sehr wenig zu thun braucht, um gut zu essen, zu trinken, spazierengehen und schlafen zu können; sie glauben sich in Kenntnissen und so vielen anderen Dingen weit über die Auswanderer erhaben; nun kommen sie hier, kennen die Sprache nicht, alles ist anders wie sie dachten, sehen darein wie Tölpel und werden dann auch wie dumme Esel behandelt, bis sie die Sprache können und in amerikanische Art und Weise zu finden wissen, dann, wenn nach Geist und Kraft nebst bestem Willen darin ist, gehen sie an, wie ein verpflanzter Baum, grünen und blühen und tragen trechtliche Früchte; aber wie viele gehen bis dahin zu Grunde.
Begleitschreiben 1
Euer Wohlgeboren.
Sende ich hiebei die versprochenen Briefe zu beliebigem Gebrauch. Mehrere andere, die ich in Händen habe, bieten zu wenig Interesse dar, um sich zur Veröffentlichung zu eignen.
Der, vom ehemaligen Schullehrer Ad. Meier, früher in Fuhlerheide im Hessischen gehört freilich nicht zu den, von früheren Lippischen Landsleuten geschriebenen Briefe; allein ich sende ihn doch mit, weil er einiges Licht auf Texas wirft. Zugleich möchte aus demselben auf die Bildungsstärke der hessischen und hannoverschen Lehrer zu schließen sein; da der Verfasser im Seminar zu Hannover gebildet war, und später, nach allgemeinem Urtheil, zu den besten Lehrern in der hess. Provinz Schaumburg gehörte.
Meine Abreise ist auf nächsten Montag festgesetzt; und ich erlaube mir daher, Ihnen ein herzliches Lebewohl zu wünschen.
Bösingfeld, d. 21 März 1848
Eur. Wohlgeboren gehorsamster Diener Knöner Cantor.
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