Lippische Rose

 Auswanderung Lippe-USA 

Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein für das Land Lippe e.V.

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Personenstandsarchiv Detmold D72 Nachlaß Petri Nr. 11 Auswandererbriefe
Das transatlantische Lippe. Schicksale und Verhältnisse der nach Nordamerika ausgewanderten Lipper.
Abschrift Simone Quadfasel

Brief 8

Lieber Bruder!

Ob Du mein erstes Schreiben gekriegt hast, weiß ich nicht. Darum schreibe ich Dir bei dieser Gelegenheit noch mal, weil ich an den Wehrmann schreiben muß, denn sein Bruder ist bei mir gestorben. Wir sind noch alle recht gesund und munter. Seid alle viel tausendmal gegrüßet! Grüßet alle gute Freunde und Bekannte. Wir haben hier eine kleine Stelle gepachtet, wo wir 4 Tage für arbeiten müssen. Sonst fordert uns keiner was ab. Wir wünschen sehr, daß Ihr alle möchtet hier sein. Wir haben dieses Jahr mehr eingeschlachtet als in Deutschland in 4 Jahren. Ich bedaure Euch, daß Ihr noch immer in der Sclaverei leben müßt, denn wir leben hier in der Freiheit. Es steht hier in der Zeitung, daß in Deutschland Hungernoth wäre; darum bedaure ich Euch, lieben Brüder, und besonders Euch, ihr Armen. Ich wollte wünschen, daß Ihr von unserm Überfluß etwas hättet. Als wir hier waren, hatten wir über 60 … [?] Schuld, wovon wir schon 20 … [?] abgezahlt haben. Wir haben uns eine Kuh gekauft, mit dem Kalbe, und Hühner und Schweine. Lieben Brüder, wer Willens ist, hier her zu kommen, der lasse sich nichts vorprahlen; denn wir sind in die Hände gerathen, wo mir Herr Schöne mal von gesagt hat. Wer also kommen will, der gehe zu Neuyork [New York] an den deutschen Verein, und bezahle nichts weiter, als von einem Ort zum andern. Von Neuyork nach Albany auf einem Dampfschiffe; von Albany nach Buffalo auf Dampfwagen, denn auf Dampfwagen kommt Ihr geschwinder weg, und es ist nicht so theuer; von Buffalo nach Tolidor [Toledo] auf Dampfschiff; von Tolidor nach Fortwye [Fort Wayne] auf Kanalboot; von Fortwye nach Kolumbi [Columbia] auf einem Wagen. Zwei Stunden von Kolumbi wohne ich, wo viele Deutsche wohnen. Wenn ich höre, daß einer kommt, wo werde ich mit Freuden entgegen kommen. Ich sage noch einmal, wer kommen will, der lasse sich nichts vorprahlen, denn uns haben sie das Geld abgenommen. Lieber Bruder, ich muß Dir noch melden, daß uns der liebe Gott nochmal mit einem kleinen Sohn gesegnet hat, welches uns eine große Freude ist. Kirchen und Schulen sind hier noch nicht, doch wird hier jeden Sonntag Versammlung gehalten, wo ein Missionar predigt. Wir hoffen aber, daß unter einem Jahr hier Kirche und Schule ist, so Gott will.
Was hier ein junger Kerl ist, der sich mit allerhand Arbeit behelfen kann, der kann hier jeden Monat 10 Reichsthaler verdienen. Mein Sohn verdient monatlich 8 Reichsthaler, es heißt aber Dollar, welches 11 deutsche Taler 4 Groschen sind. Wer also kommen will, der fange die Reise in Gottes Namen an, hier sind noch Stellen genug zu haben für 6, 7, 800 – 1000 Reichsthaler. Es sind aber Stellen, die schon urbar sind, anderes Land ist hier der Acker 3 ½ Dollar. Wenn nun einer hierher kommen will, der sorge dafür, daß er mir mitbringt: eine Plattschute, eine Plattharke, eine Mistharke und zwei Kartoffelharken. Ich werde ihn gern dafür bezahlen; ich kann ihm vielleicht hier behülflich sein. Lieber Bruder, jetzt muß ich schließen. Ich wünsche Euch alle das Beßte. Meine Kinder sprechen täglich von Euch.
Jetzt ergreife ich die Feder wieder, da ich den 15ten Mai einen Brief erhalten habe, und daraus ersehe, daß Ihr noch alle gesund seid. Auf der See, den 2ten Tag hatten wir die Seekrankheit, öfters hatten wir Ruhr. 7 Wochen 6 Tage sind wir darauf gewesen. Wir haben unser Essen pünktlich gekriegt, so wie uns versprochen war. Wir sind auf dem Schiffe mit Namen Roland gewesen. Wenn Ihr aus dem Hafen fahrt, so eßt nicht zu viel, sonst ist die Krankheit so viel stärker. Ein Jeder nehme sich ein wenig guten Branntwein mit. Die Reise von Neuyork bis an Ort und Stelle für jede Person kann auf 12 Reichsthaler kommen. – Als ich zu Müller kam, sagte er zu mir: Jetzt mußt du sehen, wo du bleibst; ich kann dich nicht behalten. Ich ging hinter die Hecke stehen und weinte. Der Brand aber von Herkendorf wohnte noch bei Müller, der kam und tröstete mich; eigentlich mußte ich ihn trösten, denn an dem Tage davor, da wir kamen, wurde seine Frau begraben. Doch ich blieb bei Müller acht Tage, da zog ich in das Haus, wo ich jetzt wohne. Was die Amerikaner sind, die sind besser als die Deutschen. Es ist so strenger Winter hier wie in Deutschland; den Sommer etwas wärmer. Häuser stehen hier noch leer, wie oben gemeldet. Meine Stelle sind 3 Acker. Ich muß Euch noch melden: Wenn ich hier aufs Land ziehe, was noch nicht urbar ist, und ich mache es urbar, so kann ich 4-5 Jahre darauf wohnen, wo ich nichts für zu bezahlen brauche.
Manchmal kriege ich noch Geld dazu. Lieber Bruder, wenn Du Friederike mit kommen lassen willst, es wird uns recht lieb sein. Doch mit der Weberei hat es hier noch nicht viel auf sich; doch wird es nützlich sein, das Geschirr mitzubringen, nämlich das ganze Geschirr und den Webstuhl. Uebrigens kann es hier sein Geld machen, denn es sind Mädchen, die die Woche einen Thaler vedienen. Wenn Friederike oder die andern kommen, so mögen sie einige Stücke hellblaues und dunkelblaues Garn mitbringen, denn hier sind Amerikaner, die gern etwas haben wollen, sie werden es gut bezahlen. Lieber Bruder, das Weizenflormehl kostet hier 100 … [?] 1 ½ … [?]. Der Buschel Maiskornmehl ¼ … [?] wo jede Mahlzeit Kuchen von gebacken werden, die sehr gut schmecken, und besser stärken als Weizenbrot. Der Löffel wird hier nicht viel gebraucht, denn wenn das Fleisch nicht gekocht schmäckt, so wird es gebraten. Dreimal wird gegessen. Die Tage sind hier im Sommer 2 Stunden kürzer, und im Winter 2 Stunden länger als in Deutschland. Das Vieh geht hier immer im Holz herum. Wer kommen will, der bringe sich ein paar helle Schafglocken mit, und für mich auch eine, denn hier sind die theuer. Ich wohne hier bei einem kleinen Flusse, so wie die Emmer. Wir fahren des Nachts auf einem kleinen Schiff auf das Wasser, wo die Hirsche kommen und sich kühlen, und wir sie dann schießen. Wer kommen will, der versehe sich mit Kleidung und Schuhen. Ein Rock kostet hier zum machen mal 8-9 Reichsthaler. Axt und Barte bringt nicht mit, die sind hier besser als in Deutschland.
Mein lieber Bruder, sorge dafür, daß er mir das mitbringe, das oben gemeldet ist. Grüße unsern Bruder, seine Kinder und alle Bekannte in Alverdissen und Lemgo. Lieben Bruder, mein Herz ist mir so voll, ich möchte gern mündlich mit Euch reden. Aber es geht noch nicht. Doch ich hoffe, so Gott will, und wir Leben und Gesundheit behalten. Ihr müßt aber nicht denken, daß ich Euch dazu bereden will. Es muß ein Jeder wissen, was er zu thun hat. Glaubt es sicherlich, die Reise ist beschwerlich, wol nicht gefährlich. Glaubt es sicherlich, in Amerika sind viele Kunstwerke, die in Deutschland nicht zu sehen sind.
Ich muß schließen, liebe Brüder, weil es der Raum nicht mehr verstattet. Lebet wohl. Verbleibe Euer vielliebender Bruder in dem Herrn.
Geschrieben d. 21 Mai 1847
Heinrich Brüggemann

Heinrich Brüggemann, Bauer
* 1798 (u) Bösingfeld (?)
oo ... mit Caroline Brüggemann, * 1804 (u) Bösingfeld (?).
Herkunft: Bösingfeld
Lebensphasen:
1846 (g) als Glaser
1846 (g) als Bauer
15.06.1846 Antrag, Lippe
1846 Auswanderung in die, USA
12.09.1846 Einreisehafen, New York, Schiff: Roland
1846 angegebenes Ziel, USA

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